Die Verkehrsteilnehmer in Deutschland sollen sich an der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h orientieren. Wo und für wen sie gilt, die Folgen bei Überschreitung bei einem Unfall: Alle Infos.

Immer wieder sind Autofahrer verunsichert, wenn es um den Unterschied zwischen Höchst- und Richtgeschwindigkeit geht. Dabei gibt es nicht nur begrifflich klare Abgrenzungen. Die ADAC Experten erklären, was Sie dazu wissen müssen.

Was ist die Richtgeschwindigkeit?

Der Begriff „Richtgeschwindigkeit“ bezeichnet eine Geschwindigkeit, die auf Straßen ohne zulässige Höchstgeschwindigkeit empfohlen wird. Die Richtgeschwindigkeit ist in einer eigenen Verordnung geregelt – der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung von 1978.

Wo gilt die Richtgeschwindigkeit?

Die Richtgeschwindigkeit gilt auf folgenden Straßen:

  • Autobahnen (Verkehrszeichen 330.1)
  • außerhalb geschlossener Ortschaften: Straßen mit Fahrbahnen für eine Richtung, die durch Mittelstreifen oder sonstige bauliche Einrichtungen getrennt sind
  • außerhalb geschlossener Ortschaften: Straßen, die durch Fahrstreifenbegrenzung (Verkehrszeichen 295) oder durch Leitlinien (Verkehrszeichen 340) mindestens zwei markierte Fahrstreifen für jede Richtung haben

Hier empfiehlt die Verordnung eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h – allerdings nur bei günstigen Straßen-, Wetter-, Sicht- und Verkehrsverhältnissen.

Die Richtgeschwindigkeit gilt nicht, soweit nach der Straßenverkehrsordnung oder nach deren Zeichen Höchstgeschwindigkeiten bestehen, angezeigt durch das Verkehrszeichen 274.

Für wen gilt die Richtgeschwindigkeit?

Die Richtgeschwindigkeit gilt für alle Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis zu 3,5 t.

Welches Schild zeigt die Richtgeschwindigkeit an?

Im Zuge einer Neufassung der Straßenverkehrsordnung im Jahr 2013 wurden die Verkehrszeichen 380 „Richtgeschwindigkeit“ und 381 „Richtgeschwindigkeit Ende“ gestrichen. Noch aufgestellte Schilder behalten bis zum 31. Oktober 2022 ihre Gültigkeit.

Verkehrzeichen393-Geschwindigkeitsangaben Deutschland
Verkehrszeichen, dass die Höchstgeschwindigkeit innerorts und auf Landstraßen sowie die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen in Deutschland angibt ∙ © ADAC e.V.

Die Richtgeschwindigkeit gilt allerdings auch ohne Verkehrszeichen. An Grenzübergängen werden Verkehrsteilnehmer bei der Einfahrt nach Deutschland durch das Verkehrszeichen 393 auf die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen hingewiesen.

Was passiert bei Verstößen gegen die Richtgeschwindigkeit?

Das Nichteinhalten der Richtgeschwindigkeit stellt keine Ordnungswidrigkeit dar und zieht somit weder ein Bußgeld noch Punkte in Flensburg nach sich – solange dadurch kein Verkehrsteilnehmer geschädigt wird. Die Missachtung der Richtgeschwindigkeit erhöht jedoch die Unfallgefahr.

Achtung: Sollte es zu einem Unfall kommen, kann eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit zu einer Mithaftung in Höhe von mindestens 20 Prozent führen, wenn der durch verkehrswidriges Verhalten eines anderen Fahrers verursachte Crash bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermieden worden wäre.

Rücksichtsvolles Fahren hilft allen Verkehrsteilnehmern

Der ADAC propagiert immer wieder rücksichtsvolles Fahren, so auch das Einhalten der Richtgeschwindigkeit. Denn nicht immer lassen die Verkehrsverhältnisse deren Überschreitung zu.

Urteile zur Richtgeschwindigkeit

Immer wieder befassen sich Verkehrsgerichte mit Fällen rund um das Thema Richtgeschwindigkeit. In den hier skizzierten Beispielen zeigt sich, dass die Unfallgefahren bei höheren Geschwindigkeiten als der Richtgeschwindigkeit selbst unter Idealbedingungen erheblich zunehmen.

Infotainmentsystem bei 200 km/h bedient – grob fahrlässiges Handeln

Ein Pkw-Fahrer bediente auf der Autobahn bei Tempo 200 das Infotainmentsystem seines Mietfahrzeugs. Dabei kam er links von der Fahrbahn ab, stieß gegen die Mittelleitplanke und beschädigte das Fahrzeug stark. Die Mietwagenfirma verklagte den Fahrer. Das Oberlandesgericht Nürnberg verurteilte ihn zu knapp 12.000 Euro Schadenersatz. Die Begründung: Wer ein Kraftfahrzeug mit einem weit über der Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo fährt, muss in besonderem Maß seine volle Konzentration auf das Verkehrsgeschehen richten.

Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 02.05.2019 – 13 U 1296/17 –

Deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit – 30 Prozent Mithaftung

Bei einem Spurwechsel auf der Autobahn kollidierten zwei Pkw. Die Autofahrerin des nach links ausscherenden Fahrzeugs hatte den mit Tempo 200 km/h sich nähernden Pkw nicht bemerkt und verklagte dessen Fahrer auf Schadenersatz. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gab der Klage zu 30 Prozent statt, sah das überwiegende Verschulden allerdings bei der Pkw-Fahrerin, die sich beim Spurwechsel unvorsichtig verhalten habe. Aber die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um 70 km/h rechtfertigte nach Auffassung des Gerichts eine Mithaftung von 30 Prozent.

Richtgeschwindigkeit missachtet – Mithaftung auch ohne Unfallschuld

Auf einer autobahnähnlichen Bundesstraße „testete“ ein Fahrer seinen BMW 540i mit Tempo 200. Es kam zum Zusammenstoß mit einem vor ihm auf die linke Spur ausscherenden Fahrzeug. Der BMW-Fahrer verklagte den Unfallgegner auf vollen Schadenersatz. In zweiter Instanz wies das Landgericht die Klage ab und erkannte beim Kläger eine Mithaftung von 20 Prozent. Begründung: Auch, wenn der ausscherende Pkw den Unfall hauptsächlich verursacht hatte, ergebe sich aus dem deutlichen Überschreiten der Richtgeschwindigkeit eine stark erhöhte Betriebsgefahr. Sachverständige kamen zu dem Schluss, dass der Unfall durch Einhaltung der Richtgeschwindigkeit hätte vermieden werden können.

Landgericht Coburg, Urteil vom 15.11.2006 – 12 O 421/05 –

Richtgeschwindigkeit im Ausland

Im europäischen Ausland ist der Begriff Richtgeschwindigkeit unbekannt. Die meisten europäischen Länder regeln Geschwindigkeiten auf ihren Autobahnen und autobahnähnlichen Straßen über Tempolimits und nicht über Empfehlungen. Es gab in den 1960er-Jahren in der Schweiz einen erfolglosen Versuch, eine Richtgeschwindigkeit einzuführen.

Text: Jörg Peter Urbach. Fachliche Beratung: Juristische Zentrale

Richtgeschwindigkeit – wann sie gilt und was sie bedeutet
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